Riz Ahmed spricht über seine Anfänge als Rapper, Rassismus am Flughafen und die Macht der Kunst.
Interview: Elisabeth Sereda & Magdalena Miedl Illustration: Mat Williams
In Sound of Metal spielen Sie den Schlagzeuger Ruben, der sein Gehör verliert und sein Leben neu sortieren muss. Sie selbst sind auch Musiker. Konnten Sie sich in Rubens Sorgen wiederfinden? Haben Sie sich einmal gefragt, was passiert, wenn Ihr Werkzeug, Ihre Stimme, auf einmal weg ist?
Genau das war für mich der emotionale Zugang in die Figur. Ich habe mich im Lauf meiner Karriere öfter gefragt, ob ich meinen Beruf immer weiter so ausüben kann. Mal ging es da um finanzielle Überlegungen, mal auch um gesundheitliche. Vor ein paar Jahren, nachdem ich Jason Bourne und Rogue One gedreht und dann den Emmy für meine Rolle in The Night Of bekommen hatte, war ich völlig ausgelaugt. Mein Körper hat einfach die Stopp-Taste gedrückt. Es ist mir wirklich schlecht gegangen, und ich war mir nicht sicher, ob ich mich je wieder erholen würde. Als ich das Drehbuch für Sound of Metal gelesen habe, war mir klar, dass es eine Riesenaufgabe sein würde, in diesen Charakter Ruben zu schlüpfen, der so ganz anders ist als ich. Aber ich hatte auch diesen emotionalen, persönlichen Zugang – weil ich die Angst Rubens nachvollziehen konnte, plötzlich alles zu verlieren, wofür man morgens aufsteht, alles, was einen ausmacht als Mensch. Insofern ist es einer der persönlichsten Filme geworden, die ich jemals gemacht habe.
Viele Leute haben aufgrund der Covid-Pandemie und der Lockdowns Ähnliches erlebt: Auf einmal ist der Job oder die Aufgabe, für die sie jeden Tag aufstehen, nicht mehr da.
Mir ist bald klar geworden, dass Sound of Metal eigentlich ein Covid-Film ist, denn die Pandemie hat ähnliche Auswirkungen auf unser Leben wie der Gehörverlust auf Ruben. Wir sind eine Workaholic-Gesellschaft, die auf einmal abgebremst wurde. Das hat uns gezwungen, unsere Prioritäten neu zu ordnen. Der Film ist im Grunde das Drama eines Workaholics, der eine gesundheitliche Krise hat, sich in einen persönlichen Lockdown zurückzieht und sich fragen muss, was ihm im Leben wichtig ist. Ich denke, dass das einer der Gründe ist, warum sich jetzt viele in diesem Film wiederfinden.
Wenn wir schon beim Thema Covid sind: Sie haben einen Rap-Song aufgenommen, in dem es um das Coronavirus geht und um die Menschen, die wir in dieser Pandemie verloren haben.
Das zu tun war mir sehr wichtig. Ich habe den Song I Miss You im Frühling 2020 aufgenommen, nachdem ich zwei nahe Verwandte an Covid verloren hatte. Vieles von dem, was ich mache, egal ob Rappen oder Filme drehen, entsteht aus der inneren Notwendigkeit heraus, etwas loszuwerden. Ich habe immer sehr persönliche Gründe für meine Projekte, sowohl in der Musik als auch beim Film. Auch die Mitarbeit bei Sound of Metal war keine durchkalkulierte Karriereentscheidung – es war Darius Marders Debütfilm, es hat also von beiden Seiten einen gewissen Vertrauensvorschuss gebraucht. Ich musste die Gebärdensprache lernen und dazu noch Schlagzeug, was für mich als Linkshänder sehr schwierig war. Ich habe diese Herausforderung aber gebraucht. Und bei diesem Rap war es auch so. Meine Musik erreicht kein Massenpublikum, das ist auch okay. Mir ist es lieber, wenn es in die Tiefe geht. Ich habe mit I Miss You versucht, mein Gefühl des Verlustes auszudrücken. Das hilft mir beim Trauern und lindert den Schmerz.
Sie haben Ihre Linkshändigkeit erwähnt. Viele Linkshänder kämpfen damit, dass die Welt für Rechtshänder gemacht ist – wie geht es Ihnen damit?
Linkshänder müssen in einer Welt leben, die nicht für sie entworfen ist. Die meisten werden letztlich aus Not zu Beidhändern, die Welt zwingt uns, auch ein wenig rechtshändig zu sein. Ich bügle zum Beispiel mit links, aber werfe Bälle mit rechts. Natürlich ist es frustrierend, nicht der „Norm“ zu entsprechen, aber ich habe es immer so gesehen: Wenn man nicht genau in die Schablone passt, kann daraus etwas Gutes entstehen. Das betrifft alles im Leben. Wenn man an einem Ort nicht reinpasst, ist das in meinen Augen immer genau der Ort, wo man bleiben soll, denn genau dann kann man etwas bewirken und die Kultur verändern.
Ihre Figur hat große Probleme damit, Hilfe anzunehmen. Wie gut sind Sie darin, um Unterstützung zu bitten?
Hey, haben Sie mit meinem Therapeuten gesprochen? (lacht) Der Film stellt unter anderem die Frage: Kann ein Mensch eine Insel sein? Ich glaube, dass Covid uns sehr bewusst gemacht hat, dass wir nicht nur Individuen sind. Individualismus ist letztlich eine Lüge. Wir sind Überlebenskünstler, und unsere Spezies kann nicht existieren ohne unsere Fähigkeit zur Vernetzung. Unser ganzes Wohlbefinden und unsere gesamte Geschichte beruhen darauf. Das ist eine Erkenntnis, die ich auch für mich neu gewinne. Ich wollte früher alles allein tun und unabhängig sein, jetzt wird mir mehr und mehr bewusst, dass Kreativität ein Austausch ist. Wir alle sind am besten, wenn wir im Kollektiv sind. Das ist etwas, das ich erst gelernt habe beim Drehen von Independent-Filmen mit Minibudgets – wo einfach alle gemeinsam an einem Strang ziehen müssen. Ich habe eine Weile gebraucht, um das zu kapieren.
Sie haben nicht als Schauspieler begonnen, sondern als Musiker. Wie hat Ihr Weg dorthin ausgesehen und wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert?
Mein älterer Bruder war ein großer Fan von Rap, und ich habe ihm alles nachgemacht. Er hat mir zwar immer verboten seine Kassetten zu hören, weil darin so viel geflucht wird, aber ich habe sie mir natürlich heimlich angehört. Ganz besonders die Schimpfwörter habe ich dabei auswendig gelernt. Als Schüler musste ich einmal vor der Klasse über etwas referieren, das mir wichtig war, und ich habe eine Nummer von Wu-Tang Clan vorgeführt. Gleich in den ersten Zeilen heißt es: „Raw I’ma give it to ya, with no trivia / Raw like cocaine straight from Bolivia.“ Das Ergebnis: Ich musste an dem Tag nachsitzen. So lernte ich, dass diese Worte mächtig und subversiv sind und dass sie sofort Aufmerksamkeit bekommen – das hat mich als hyperaktives Kind angesprochen, aber auch die Komplexität des Genres hat mich begeistert. Ich bin also in dieser Szene gelandet, habe bei Piratenradios, die mit einer Antenne für die Nachbarschaft senden, on air gerappt. Als ich in Oxford zu studieren begonnen habe, einem sehr weißen, sehr vornehmen, sehr britischen Ort, dachte ich mir, ich bringe ein bisschen Piratenradio-Energie dort hinein. Also habe ich auch in Oxford Clubevents organisiert. Als ich wieder nach London zurückkehrte, habe ich begonnen, an Rap-Battles teilzunehmen.
Kann man die irgendwo sehen?
Ja, manche davon findet man immer noch auf YouTube. (lacht) Ich habe mir da einen gewissen Namen gemacht. Meine erste echte Single kam erst etwas später: Post 9/11 Blues. Diesen Song habe ich unmittelbar nach einer miesen Erfahrung am Flughafen London-Luton geschrieben und aufgenommen. Ich kehrte mit Schauspielerkollegen gerade von der Berlinale zurück, wo wir den Film The Road to Guantanamo vorgestellt und einen Silbernen Bären gewonnen hatten. Ein paar Geheimdienstagenten fischten mich und andere von der Filmcrew aus der Masse heraus, sperrten uns in einen Raum und verhörten uns. Sie wurden verbal und körperlich übergriffig, das volle Programm. Später rieten uns Journalist:innen, die Regierung zu klagen und eine Pressekonferenz zu machen. Aber ich wollte mich in der Öffentlichkeit nicht als Opfer zeigen. Also habe ich einen Rapsong geschrieben. Der ging dann viral, wurde im Radio verboten, was ihn noch populärer gemacht hat – und so hat meine Rap-Karriere begonnen. Meine Musik ist ein Ort, wo ich ungefiltert das ausspreche, was mir auf dem Herzen liegt. Solange es auch andere Menschen berührt, werde ich damit auch nicht aufhören.
Sie finden immer wieder deutliche Worte, wenn es um politische Anliegen geht. In Sound of Metal geht es um eine diskriminierte Community, über die wir selten Filme sehen – war das ein Aspekt, der Sie gereizt hat?
Mich reizen Herausforderungen: Fordert das Projekt mich heraus, fordert es unsere Kultur heraus? Das sind die Fragen, die ich mir bei jedem neuen Projekt stelle. Dieser Film fordert uns ganz offensichtlich heraus, weil er von einer Community handelt, von der wir nicht viel sehen. Ich sehe mich selbst aber nicht als besonders politische Person, ich bin kein Politiker, ich bin Künstler. Ich schreibe Lyrik und ich spiele in Filmen. Aber es ist nun einmal so: Wenn du in einen bestimmten Körper hineingeboren bist, zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort, dann wird es schon als politischer Akt wahrgenommen, einfach nur zu sagen: „Hallo, es gibt mich!“ Ich glaube, vieles von dem, was ich gemacht habe und als „politisch“ interpretiert wurde, ist in Wahrheit sehr persönlich. Wenn ich einen Text über Covid schreibe, kommt das aus einer persönlichen Trauererfahrung. Wenn ich darüber rappe, wie es ist, auf Flughäfen kontrolliert zu werden, ist auch das der Versuch, etwas Kreatives aus einer negativen Erfahrung zu machen. Mein persönlicher Standpunkt wird als politisch interpretiert, einfach weil er nicht die Norm ist. Darüber zu sprechen mag subversiv wirken, aber für mich ist es einfach kathartisch und therapeutisch.
Sprache ist bekanntlich Ihr künstlerisches Mittel. Sie sind in London als Kind von Immigrant:innen aufgewachsen. Mit welchen Sprachen sind Sie groß geworden?
Meine erste Sprache war Urdu. Auch Hindi verstehe ich gut, die beiden Sprachen sind recht ähnlich, und sie sind mir sehr wichtig. Ich bin in einer pakistanischen, muslimischen Familie aufgewachsen und habe eine sehr klare Vorstellung von der pakistanischen Kultur mitbekommen. Wissen Sie, wenn Immigrant:innen in ein neues Land kommen, dann züchten sie dort ihre eigene Version ihrer Herkunftskultur heran. Das heißt, ich bin in einer 1970er-Jahre-Version pakistanischer Alltagskultur aufgewachsen. Als ich dann in den 2000er-Jahren nach Pakistan geflogen bin, war ich total baff: Die Verliebten gehen händchenhaltend durch die Straßen, man geht auf Dates – einfach eine komplett andere Atmosphäre, als ich sie mir vorgestellt hatte! Außerdem hatte ich erwartet, dass ich mich dort zu Hause fühlen würde, aber ich habe überhaupt nicht hingepasst. Ich bekam Bauchweh vom Essen, ich habe bei Gleichaltrigen keinen Anschluss gefunden. Die Kids, die sich mit Rap auskannten, waren alle superreich und lebten in einer eigenen Welt, während die Leute mit einem ähnlichen Background wie meine Familie keinen Tau hatten, was ich mit meiner Musik erreichen wollte. Als ich Anfang dieses Jahres wieder hingeflogen bin – diesmal ohne diese Erwartungen, dazugehören zu wollen –, hat mich das Land überrascht. Ich habe gelernt: Nein, Pakistan ist nicht mein Zuhause, trotzdem ist es ein Teil von mir. Und das ist auch gut so.
Wir sprechen hier immer wieder von der Macht der Kunst. Was war denn das letzte Kunstwerk, bei dem Sie von der Tiefe der emotionalen Reaktion überrascht waren?
Vor Kurzem hat mich jemand auf Raghu Rai aufmerksam gemacht – den wohl einflussreichsten indischen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Sie wissen ja, in Indien sieht es politisch nicht gut aus zurzeit, der Hindu-Nationalismus ist im Anstieg, die extreme Rechte reißt immer mehr die Kontrolle an sich. Und dann gibt es diesen Hindu, der unglaublich viel Zeit seines Lebens damit verbracht hat, Menschen in Moscheen beim Beten zu fotografieren. Mir gefällt der Gedanke, dass er die Menschlichkeit und Schönheit dieser Gemeinschaft sehen wollte, die nicht seine eigene ist. Seine Fotografien haben mich tief beeindruckt. Eine ganz besonders: Man sieht Gewitterwolken am Himmel, darunter die Skyline von Delhi, das Chaos der Stadt, die riesige Moschee, und rundherum das Durcheinander des urbanen Dschungels. Und im Vordergrund des Fotos, in einem Haus, durch eine Tür, ist da eine Frau zu sehen, die betet. Es ist diese Idee des Heiligen, der Stille inmitten des Wahnsinns. Das ist auch das, was ich immer zu erreichen versuche. Es braucht dazu nicht zwingend die Religion, es kann auch Meditation sein. Einfach dieser Moment, Kraft in der Stille zu finden, während rundherum das Chaos tobt.