„Design hat eine Bedeutung und einen Ursprung“

Kann ein Ring zur Erinnerungskultur beitragen? Ja, sagt Anja Saleh, Dichterin und Gründerin des Schmuckstudios Tavii. QAMAR wollte von ihr wissen, wie das funktioniert, aber auch, worum es in ihrem neuen Buch geht.

Interview: Çağlar Efe Fotos: Muhammed Salah Abdulaziz

In ihrem Schmuckstudio Tavii beschäftigen Sie sich intensiv mit der Geschichte Ägyptens und der Diaspora des Landes. Warum ist Ihnen das ein Anliegen?

Je weiter wir uns von unserer Vergangenheit entfernen, desto wichtiger wird sie für uns. Mit Tavii will ich der Rituale, Traditionen und des Wissens unserer Ahnen, die unsere Kulturen bereicherten, gedenken und daran erinnern. Das Ziel war es, ein künstlerisches Sprachrohr zu kreieren. Ich wollte mit ägyptischen Handwerker:innen vor Ort zusammenarbeiten und fairen, ethisch hergestellten und langlebigen Schmuck aus echtem Silber anbieten. Der Name ist schon ein Hinweis – Tavii ist ein altägyptisches Wort und bedeutet „zwei Länder“.

Tavii will nicht nur hübschen Schmuck fertigen, sondern hat auch eine Mission.

Wir betreiben so etwas wie Storytelling über Schmuck – denn Schmuckdesign hat eine Bedeutung und einen Ursprung, es hat mehr als rein ästhetischen Wert. In vielen Kulturen, wie zum Beispiel der altägyptischen, hatte Schmuck eine Kommunikationsfunktion, die heute, besonders hierzulande, nur noch selten wahrgenommen oder in Anspruch genommen wird. Ich wollte die Geschichten von Kindern, die in einem anderen Land aufgewachsen sind als ihre Eltern – also von sogenannten Third Culture Kids –, erzählen und dabei die Vergangenheit, die Gegenwart und Visionen für die Zukunft miteinbeziehen. Unsere Designs sind inspiriert von altägyptischen Symbolen, aber auch von marginalisierten Bevölkerungsgruppen in Ägypten wie den Nubiern und den Amazigh. Es sind Ansätze von materieller Erinnerungskultur.

Warum ist es Ihnen wichtig, dass die Kollektionen von lokalen ägyptischen Handwerker:innen gefertigt werden?

Meine biografische Verbindung zum Land spielt zwar eine Rolle, aber meine Motivation stammt aus meiner Wertschätzung für das Handwerk, das ich erhalten will. Mein Ansatz war es, kulturelle Elemente in neue Kontexte zu setzen. Historische und kulturelle Elemente lediglich als Inspiration zu nutzen, ohne die Einbindung der lokalen Künstler:innen, ist kein Ausdruck von Wertschätzung. Mit diesen kulturellen Elementen zu arbeiten bedeutet immer auch eine bestimmte Verantwortung. Viele Third Culture Kids fühlen sich dieser Verantwortung entzogen, sie stellen merkwürdigerweise den Anspruch, sich unreflektiert bedienen zu dürfen, weil es ja die „eigene“ Kultur sei. Das gilt es definitiv zu reflektieren.

Sie sind nicht nur Schmuckdesignerin, sondern auch Poetin. Wie und wann haben Sie begonnen zu dichten?

Als ich etwa 14 oder 15 Jahre alt war, fing ich an zu schreiben, um Dingen Ausdruck zu verleihen, die ich nicht anders ausdrücken konnte. Das geschriebene Wort half und hilft mir auch heute noch dabei, meine Gedanken zu sortieren und den Kopf freizubekommen. Es war aber auch eines der wenigen Hobbys, die „bezahlbar“ waren. Als Tochter von Arbeiter:innen war Leistbarkeit immer ein Thema. Lesen und Schreiben waren zwei Beschäftigungen, die im Rahmen des Möglichen waren.

Sie haben ein Gedicht verfasst mit dem Titel „Erinnerungen meiner Mutter“. Darin geht es unter anderem um die Frage „Wo kommst du her?“. Warum?

Das ist eine der typischen Fragen, die einem immer wieder vor allem von weißen Menschen gestellt werden. Die Frage suggeriert oftmals, dass eine Person, die Teil der globalen Mehrheit ist, doch nicht einer weißen Mehrheitsgesellschaft angehören könne, dass sie irgendwie fremd sein müsse, ihre Ambitionen, Kreativität, gute Sprache, Bildung und so weiter ein Zufall sein müssten. In dem Gedicht „Erinnerungen meiner Mutter“ geht es um die gleiche Frage, aber zur Abwechslung mal in einem ägyptischen/nubischen Kontext. Dort wird eine solche Frage nur gestellt, um die Familie zu lokalisieren, den Ortsnamen und den Nachnamen zu analysieren, herauszufinden, ob man nicht gemeinsame Bekannte oder gar Verwandte hat, ob man Familie ist oder zumindest die Vorfahren zu den familiennahen Freund:innen gehörten, ob man Geschichte teilt oder, wenn all das nicht der Fall ist, ob man einander besser kennenlernen kann. Die Frage suggeriert also Zugehörigkeit und Familiarität.

Tavii spiegelt sich somit auch in Ihrer dichterischen Arbeit wider. Fühlen Sie sich hin- und hergerissen zwischen Deutschland und Ägypten?

Ehrlich gesagt ist diese „Identitätskrise“ eine fremdbestimmte Krise, die nie meine war oder mir gehörte. Die Personen, die meine Existenz als solche nicht akzeptieren, haben die Krise, ich existiere bloß. Dass aus so vielen Normalitäten ständig Oxymora gemacht werden, ist eigentlich das Problem. Es wird eine mythische Norm kreiert, nach der bestimmt wird, wer dazugehören kann und wer nicht. Ich habe für mich entschieden, diese Normen das sein zu lassen, was sie sind: Mythen. Ich bin an beiden Orten zu Hause, liebe und kritisiere beide Länder auf vielen Ebenen gleich stark, weil ich zu beiden gehöre, beide zu mir gehören.

Im April erscheint Ihr Gedichtband „Soon, The Future of Memory“. Was erwartet die Leser:innen?

Ich beschäftige mich seit geraumer Zeit mit Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik. Viele Menschen, die in Deutschland und vergleichbaren Ländern – und aus diesem Kontext heraus wurde die Kollektion geschrieben – eine Minderheit bilden, werden zwangsläufig ein Teil der zukünftigen Erinnerung sein. Bislang hat Geschichtsschreibung und somit kollektive Erinnerung diese Perspektive der Minderheiten nicht einbezogen. Inzwischen aber sind wir zu präsent, um uns zu verstecken oder um uns aus den Geschichtsbüchern, den Erzählungen und den Erinnerungen in der Zukunft herausstreichen zu lassen. Wie auch, wenn wir diese eigenhändig und aktiv mitschreiben werden?

Wir sind weder die erste noch die letzte Generation, die zur kollektiven Erinnerung beiträgt und beitragen wird. Die Besten haben es uns vorgemacht. Es gibt aber auch absolut keinen Weg mehr daran vorbei und keinen Zweifel daran, dass wir können, wollen und werden. „Soon, The Future of Memory“ ist daher eine Aussage, Ansage, Voraussage und Zusicherung.

Anja Saleh ist Schmuckdesignerin, Dichterin, Sozialwissenschafterin und neuerdings auch im Leitungsteam der Datteltäter Academy, eines Fellowship-Programms für BIPOC Content Creators.

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