Das Reden gegen das Gerede

Das Wiener Volkskundemuseum lud Schüler:innen ein, über das Muslimin- bzw. Muslimsein im Schulalltag zu erzählen. Kurator Georg Traska erklärt die Intention dahinter.

Interview: Muhamed Beganović

Die Schule ist im Lauf der letzten Jahre zur beliebten Projektionsfläche von Politik und Medien geworden, wenn es darum geht, „Multikulturalität“ als Konfliktfeld ab­ zustecken und ihr angebliches „Scheitern“ am praktischen Beispiel vorzuführen. Wo Schlagworte wie „Brennpunktschulen“ und „Problemschüler“ Bestseller verkaufen, sind muslimische Jugendliche in ihrer Rolle als Troublemaker nicht weit. „Die Gesellschaft weiß nicht viel über Muslim:innen, trotzdem werden viele Aussagen über sie gemacht“, sagt Georg Traska von der Österreichischen Akademie der Wissen­schaften. Für das Volkskundemuseum Wien hat er die – virtuell zugängliche – Aus­stellung „Schulgespräche – Junge Muslim:innen in Wien“ kuratiert. Schüler:innen und Lehrer:innen wurden dafür eingeladen, über verschiedene Fragen zu diskutie­ren, die rund um „den Islam“ durch Medien und Klassenzimmer geistern – Oral History im Hier und Jetzt.

Herr Traska, was hat Sie zu diesem Projekt bewogen?

Die Idee kam mir 2014/15, als die sogenannte „Flüchtlingswelle“ an ihrem Höhepunkt war. Ich habe die mediale Berichterstattung genau beobachtet. Es war mir klar, dass das Thema „Flüchtlinge“ zwar eine Konjunktur der Aufmerksamkeit ha­ben, aber später im Thema „Muslim:innen“ aufgehen würde. Ich wollte die medialen Klischees mit der realen Lebenswelt der muslimischen Schüler:innen in Wien kon­frontieren. Dafür mussten wir auf eine ganz partizipative Weise arbeiten. Wir woll­ten nicht über Muslim:innen reden, sondern mit ihnen gemeinsam arbeiten.

Was möchten Sie mit dieser virtuellen Ausstellung zeigen?

Es war uns wichtig, ein buntes Spektrum an Meinungen zu zeigen. Im ersten Arbeitsmodul haben die Schüler:innen die Fragen überlegt, die sie einander stellen wollten. Dann wurde in Gruppengesprächen diskutiert, wobei Muslim:innen und Nichtmuslim:innen zu Wort kamen. Man kann in den jeweiligen Videos nicht immer nachvollziehen, ob die Person, die gerade spricht, muslimischen Glaubens ist oder nicht. Das war mir wichtig. Die Schüler:innen haben über ganz unterschied­liche Themen diskutiert, etwa die Unterscheidung zwischen Religion, Tradition und Kultur. Es ist klar, warum ihnen diese Frage so wichtig ist: Sie erleben selbst, dass bestimmte Verhaltensweisen dem „Islam“ zugeschrieben werden, von denen sie aber sagen, dass sie nicht genuin islamisch, sondern kulturell bedingt sind.

In einem Video sagt ein junger Mann, dass er zwar den Koran rezitieren kann, aber auch an die Urknall-Theorie glaubt. Seine Aussage: Man ist nie nur das eine oder das andere. Man kann zum Beispiel Muslim:in und Wissenschafter:in sein.

Genau. Es wäre völlig illusorisch zu glauben, dass Religion eine absolute Prio­rität in der Entwicklung der Identität hat, aber das ist genau das, was in Bezug auf Muslim:innen medial immer suggeriert wird.

Keine Überraschung: Gleich drei Videos widmen sich dem Thema Kopftuch. Könnte man eines davon überspringen?

Nicht unbedingt, die drei Videos behandeln unterschiedliche Schwerpunkte. In einem Video geht es um die individuelle Einstellung zumKopftuch, im zweiten um den medialen Diskurs und im dritten um Diskriminierung – und da ist das Kopftuch ein Hauptgegenstand: weil es sichtbar und ein extrem politisierter Gegen­stand ist. Ein interessantes Ergebnis ist auch, dass Nichtmuslim:innen das Kopftuch weitaus stärker politisieren als Muslim:innen. Darauf zu insistieren, dass das Kopf­tuch immer ein Symbol des politischen Islams sei, ist völliger Unsinn.

Was war Ihr größter persönlicher Aha-Moment?

Die größte Überraschung für mich war, wie gut und behutsam die Schülerin­nen und Schüler, die alle etwa 16 Jahre alt waren, miteinander umgehen. Sie sagen das auch explizit so: Wir jungen Menschen gehen besser miteinander um als die Erwachsenen. Die Lehrer:innen sagen übrigens genau das Gleiche. Ich dachte mir: Das steht ja vollkommen im Gegensatz zum Gerede vom „Kulturkampf im Klassenzim­mer“. Es ist natürlich möglich, dass es Unterschiede zwischen einer AHS und einer Mittelschule gibt. Aber auch wenn dem so ist, ist es trotzdem ein Hinweis, dass es bei Konflikten in der Schule viel weniger um die kulturellen oder religiösen, sondern eher um die sozialen Unterschiede geht.

Georg Traska ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Autor mehrerer Bücher, u.a. Geteilte Erinnerungen.

Eine längere Fassung dieses Interviews erschien in „MO – Magazin für Menschenrechte“, Nr. 58.

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