Ich fühlte mich so geborgen in meiner rassismuskritischen, antisexistischen, politaktivistischen Art-Bubble. Dann kam die Ernüchterung.
Ich bin Femme of Color, Migrantin, oder doch eher Postmigrant:in, Muslima, prekäre Künstlerin, Kurdin, türkisch sozialisiert, FLINT, Feministin, aber damit meine ich nicht den weißen* Feminismus. Ich trage meine Haare gerne lang und bin nicht abgeneigt mir ab und zu Make-up zu geben. Dank Queer Theory sind ja jetzt auch lange, bunte Cardi-B-Gelnägel nicht mehr verpönt. Bei steinzeitlichen Feminist:innen war das ja lange so. Baader-Meinhof-Frisuren und maßgeschneiderter Minimal-Arty-Farty-Look auf Vernissagen sind inschallah am Abknicken. Man kann also mit langen Gelnägeln und Make-up politisch, feministisch und kritisch sein. Und irgendwie geht eh alles. Ich habe auch schon lange damit aufgehört, Menschen aufgrund ihrer Styles zu bewerten, denn es gibt genug rechtsradikale Hipster, die linke politisch-aktivistische Strategien übernommen haben.
Nach meinem bürgerlich-konservativen Architekturstudium an der TU Wien war die Klasse für postkonzeptuelle Kunst an der Akademie der bildenden Künste wie eine Erleuchtung. Endlich kam ich an. Ich fühlte mich verstanden. Alle waren politisch, kreativ, aufständisch, aber soft zugleich – beste Kombi. Cultural Diversity wurde großgeschrieben, Critical Race, Queer, und Decolonial Theory waren die Topics. Wir waren woke.
Für meine Anne war es das Ende meiner vermeintlichen Karriere als Stararchitektin. Für sie studierten nur Lesben, Schwule und Taugenichtse Kunst. Mein Baba war eher stolz darauf, dass es die Akademie war, in die es Hitler nicht geschafft hatte. Babas Tochter aber schon. Ich war erfüllt, voller Euphorie, und ich war geheilt. Geheilt vom Leid des Otherings, angekommen an einem Ort, der Diversität und kulturelle Teilhabe als Selbstverständlichkeit in einer Gesellschaft verstehen wollte, trotz Widersprüchen und Grenzen.
Schwarze Künstler:innen, rassismuskritische PoC-Aktivist:innen und weiße Mitstreiter:innen, deren Fokus Rassismus, Sexismus und Klassismus war. Intersektionale Perspektiven waren die Norm. Es fühlte sich so warm und inklusiv an in dieser Bubble, wie in einem Opiumrausch. Ich war einfach high key verliebt in diese Kommune der politischen Künstler:innen, die die Zukunft neu schreiben wollten. Dieser Space war eine Projektionsfläche, ein Imaginationsraum für meine Sehnsucht nach einer anderen Realität.
Hier waren wir die Mehrheit, die BIPOC mit ähnlichen Marginalisierungserfahrungen und die weißen Dudes, die lernten how to be an ally. Jetzt saßen wir alle da mit unserem cultural baggage bis spät in die Abendstunden. Solidarität und Aktivismus waren wichtiger als ECTS-Punkte sammeln und die künstlerische Karriere. Wenn wichtige Demos angekündigt waren, hörten wir auf mit dem „Unterricht“ und gingen gemeinsam protestieren. Alles wurde hinterfragt, alles war ein Konstrukt.
Man wird nicht als Migrant:in geboren, man wird es.
Nach dieser intensiven Zeit und viel Einsatz kam die Ernüchterungsphase. So sehr wir uns mit Kunstkritik beschäftigt hatten, wurde sie dann doch immer wieder vom Kunstregime gefressen. Das Identitätsregime schmilzt die Identitätskritik ein. Museen und Ausstellungsorte genauso wie die Kunstakademie selbst sind keine neutralen und safen Räume. Sie sind geprägt von internalisierten Rassismen und sie folgen ökonomischen Logiken.
„Kunst machen“ – für wen? Wohin ist es adressiert? Welchen Macht und Marktmechanismen dient es? Wer bekommt die Credits? Diese Fragen haben es mir schwer gemacht, Kunst zu produzieren. Wenn der eigene Blick durch den white gaze geprägt wird, wird jede künstlerische Arbeit zu einer Reproduktion all dessen, dem man kritisch entgegensteht, dachte ich mir. Die Kunstmaschinerie fetischisiert, exotisiert und tokenisiert. Der Hype um künstlerische Positionen von BIPOC wird zur Ware und ihre Kunst als „migrantisch“ gelabelt. Du wirst ständig gewertet, kategorisiert, eingeordnet, abgelehnt, ein und abgegrenzt, zu und eingeordnet.
Doch anstatt zu schmollen und sich zurückzuziehen, gibt mir die Ambivalenz der Mehrfachidentitäten und der Kunstpraktiken einen Antrieb, die Suche nach den Sweet Spots in allen Bereichen des Lebens weiterzuführen. Polemisch und poetisch zugleich.
Betül Seyma Küpeli (Shayma) arbeitet als konzeptuelle Künstlerin, Kulturvermittlerin und Musikerin in Wien und Istanbul. Für QAMAR schreibt sie regelmäßig über Kunst und Kultur aus einer postmigrantischen Perspektive. Sie produziert den Podcast Oriental Futurism.
* weiß (kursiv und klein) verweist auf die Privilegien der Hautfarbe, nicht auf die Farbe selbst.